Ehrliche Gewerbe, unehrliche Gewerbe


Ehrliche Gewerbe, unehrliche Gewerbe



1) In den fest gefügten und wenig durchlässigen Ordnungen des Mittelalters und vor allem der frühen Neuzeit ist die Unterscheidung zwischen ehrlichen und unehrlichen Gewerben virulent. Dabei ist unehrlich nicht als moralisches Phänomen im Sinne von "betrügerisch" oder "unredlich" zu verstehen. Vielmehr rügt das Wort unehrlich von "unecht", "echtlos". Dies führt in der Folge zu einem kollektiven Vorurteil gegen bestimmte Berufsgruppen, das bis heute nicht ganz überwunden ist, obwohl es sich bei ihnen um durchaus nutzbringende Mitglieder der Gesellschaft handelt. Selbst der Schinder war wegen seiner anatomischen und therapeutischen Kenntnisse und der von ihm produzierten Salben gesucht. Der Schinder ist Archiater (Arzt) für Vieh und Menschen zugleich heißt es in einer Beschreibung des Erzstifts Salzburg von 1796. In der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Ständegesellschaft waren es vor allem die Inhaber der so genannten "ehrbaren" Handwerksberufe und deren Zünfte, die sich um eine Abgrenzung gegenüber der unehrlichen bemühten, um ihre eigene Standesehre zu wahren und zu mehren. 2) Über die Ursachen der Unehrlichkeit ist viel gerätselt worden (zu den Theorien siehe Ehrlosigkeit). Man wird der These von Danckert näher treten können, dass die Unterscheidung zwischen ehrlichen und unehrlichen gewerben mit Tod und Verwesung (Gestank), vorchristlichen germanischen Kultrelikten und Tabus zusammenhängt, wobei Einzelheiten nicht (mehr) ausreichend erklärt werden können, weil unmittelbare Quellenbelege weitgehend fehlen. 3) Den unehrlichsten unter den unehrlichen Berufen hatte der Henker inne. Dies wird mit seiner Aufgabe, Menschen zu töten, in Verbindung gebracht, die ihn gleich einem verbrecher "unrein" machte. Seine Stigmatisierung gehört allerdings vornehmlich in die frühe Neuzeit. Bis ins ausgehende 14. Jahrhundert war er eine durchaus geachtete Person. gleich ihm galten die Abdecker (siehe Schinder) als unehrlich, deren Beruf sehr oft von Henkern und Henkersknechten mit ausgeübt wurde. Betroffen von der Unehrlichkeit waren zudem all jene, die mit den Missetätern an der Gesellschaft zu tun hatten, also Häscher, Büttel, Polizei- und Gerichtsdiener, Gefängniswärter, wobei es erhebliche regionale Unterschiede gab. So blieb der später nur noch in Nord- und Ostdeutschland verbreitete Fronbote trotz seiner Aufgabe als Vollstrecker von Todesstrafen ehrlich. Weniger intensiv als bei den genannten Berufen wirkte sich der Makel der Unehrlichkeit bei einigen Handwerkern aus. Zur Unehrlichkeit der Schäfer dürfte beigetragen haben, dass sie mal eher heimlich, mal offiziell auch Schinderarbeiten übernahmen. oftmals hatten sie den Verlust eines Tieres durch Vorlage des Felles beim Dienstherrn nachzuweisen, mussten das Tier also zuvor abdecken und den Kadaver entsorgen. Die nur regional nachweisbare Unehrlichkeit der Müller wird darauf zurückgeführt, dass sie das Korn zu Tode bringen. Leineweber, die im Gegensatz zu Woll- und Seidenwebern jedenfalls in einigen Regionen als unehrlich galten, verwendeten gerne Hunds- oder Pferdefett zum Einschmieren der Kettfäden, was einen abscheulichen gestank verbreitete. Das Material hierzu besorgten sie sich beim Abdecker. Auch Töpfer und Ziegler galten gelegentlich als unehrlich. Sie verformten die Mutter Erde nicht nur zu Geschirr und Ziegeln, sondern formten daraus auch Götzenbilder ad pompam diaboli, wie Tertullian berichtet. Von der Unehrlichkeit betroffen waren ferner Bader und Scherer. Badhäuser galten als Herbergen der Leichtfertigkeit. "Badhur" wurde die Augsburger Baderstochter Agnes Bernauer genannt, die, der Zauberei bezichtigt, 1435 als Hexe bei Staubing in der Donau ertränkt wurde. Im Haar steckt die Lebenskraft. Dalila schneidet Samson die Haare ab, wodurch er seine Stärke, wohl auch sexuell, verliert. Haarschur (siehe Haar, Haarscheren) gilt im Volksglauben als Ehrlosmachung (siehe Barfüßigkeit, Barhäuptigkeit) und war sakrale Handlung. Im deutschen Südwesten findet sich dagegen kein Beleg für die Unehrlichkeit der Bader. Unehrlich waren auch die Sauschneider, die Prostituierten (siehe Prostitution) vor allem in der frühen Neuzeit, Schornsteinfeger, Türmer, Nachtwächter, Totengräber, sowie Gaukler, Sänger, Musikanten, kurzum alles Fahrende Volk (siehe Fahrende Leute). Nach Sachenspiegel Landrecht I 38, 1 sind Kämpfer (Gladiatoren), Spielleute (Pfeifer und Trommler) und alle unehelich Geborenen sogar rechtlos. 4) Je nach Grad ihrer Unehrlichkeit lebten die betroffenen Berufe in unterschiedlich weitgehender sozialer wie rechtlicher Isolierung. Häufig lagen ihre Wohnquartiere am Rande der Stadt. Henkern und Abdeckern wurde oftmals eine Wohnung an oder außerhalb der Stadtmauer zugewiesen. Henker und Abdecker hatten häufig beim Gottesdienst und im Wirtshaus eigene, abgesonderte Plätze. Manchmal wurden sie auch vom Abendmahl ausgeschlossen und eine kirchliche Trauung wurde ihnen verwehrt. Erhebliche Probleme bereitete vielerorts die Beerdigung Unehrlicher, da sich niemand zum Sargtragen bereit fand. Dazu trat das Verbot des Waffentragens. Die Unehrlichen waren von städtischen Ehrenämtern ausgeschlossen und bisweilen auch von der Zeugeneigenschaft. Unehrlichen war regelmäßig der Zugang in die Zünfte versperrt. Die ehrbaren Handwerke achteten streng auf Distanz und Abgrenzung. Die Abkömmlinge Unehrlicher waren ebenfalls unehrlich und konnten kein zünftiges Handwerk erlernen. Die Unehrlichen nahmen aber am Wirtschaftsleben teil, ohne dass ihr Vertragspartner unehrlich wurde; vergleiche ferner Ehrlosigkeit. Die Volksmeinung sagt den Unehrlichen magische Kräfte nach, siehe Aberglaube und Recht. So vermag der Schinder, den Poltergeist zu bezwingen oder einen dieb zu überführen, indem er in einen Erdspiegel blickt. 5) Während zugunsteneiniger unehrlicher Handwerksberufe seit dem ausgehenden Mittelalter eine wachsende Tendenz festzustellen ist, die Beschränkungen der Unehrlichen zurückzudrängen, blieben andere Berufe - vor allem Henker und Abdecker - bis ins 19. Jahrhundert hinein bemakelt. Seit 1375 werden die Hamburger Bader zunftfähig, kurze Zeit später jene in Frankfurt. 1456 wird in Sachsen den Leinenwebern Innung, Zeche und Gilde erlaubt, 1468 auch in Brandenburg. 1548 spricht der Reichstag in Augsburg eine Ehrlicherklärung der Schäfer aus, die der Reichstagabschied von Frankfurt im Jahr 1577 erneuert und so Grundlage für entsprechende Erlasse der deutschen Landesherren bildet, den Makel der Unehrlichen zu beseitigen und ihnen die Zunftfähigkeit anzuerkennen. 1699 erklärt Kaiser Leopold I. die Sauschneider für zunftfähig. Schließlich bestimmte das Reichsgesetz vom 14.08.1731, dass Schindersnachfahren, die einer ehrlichern Profession nachgingen, nur bis in die 3. Generation unehrlich sein sollten. In Preußen erklärten Kabinettorders vom 04.12.1819 und 21.10.1827 die Scharfrichtergehilfen für ehrliche Leute.

In Frankreich brachte die Revolution von 1789 das Ende der Unehrlichkeit.


Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. 2. Auflage, 5. Lieferung. Artikel Schempf.


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